Polarisierung überwinden
Unsere Politik bleibt blockiert, so lange wir nicht den Mut für neue Ansätze haben
Ein Gastbeitrag von Susanne Baumann
In vielen Demokratien findet derzeit eine zunehmende Polarisierung der Politik statt. Rechte und linke Parteien bekämpfen sich hart, isolieren sich immer mehr in ihren Ansichten und hören den anderen politischen Kräften kaum mehr zu. Dadurch schwillt die Wut zusätzlich an, was sich gerade im rechten politischen Spektrum zeigt. Die Frage ist, wie kommen wir aus diesem Dilemma wieder raus?
Vor ein paar Tagen traf ich auf der Strasse meinen Nachbaren, ich nenne ihn hier Peter. Peter ist 68 Jahre alt, pensionierter Metzgermeister. Er lebt im gleichen Haus mit der Familie seines Sohnes auf dem Land. Peter ergreift jede Gelegenheit, um sich über Ausländer zu beklagen. Er weiss auch, dass ich eine ausländer-freundliche Haltung habe, was ihn offenbar immer wieder mal anstachelt eine besonders pointierte Aussage in meiner Gegenwart fallen zu lassen. Kürzlich sagte er: «Wenn mir einer von denen ins Haus kommt, dann würde ich ihn gleich erschiessen!». In diesem Moment war ich total schockiert, paralysiert und unfähig etwas darauf zu erwidern.
Ein paar Tage später kam Peter auf mich zu und fragte, ob ich meinen Schock verdaut hätte. Ich war überrascht, dass er offenbar gemerkt hat, dass ich schockiert war und wieder auf mich zu kam. Ich fragte ihn, ob er bereit wäre mir ein bisschen zu erzählen, wie er zu seiner Haltung gegenüber Ausländern gekommen ist. Nach einigem Zögern begann er mir zu erzählen, wie Ausländer im letzten Sommer in seiner Wiese mit hohem Gras sassen und er nicht mehr mähen konnte. Er mache sich Sorgen, weil die Ausländer so viel Kriminalität mitbringen und er das Gefühl habe seine Familie sei nicht mehr sicher. Es schmerzt ihn sehr, dass auf dem letzten Volksfest viele Menschen eine balkanische Sprache sprechen und nicht mehr schweizerdeutsch. Das sei einfach nicht mehr dasselbe, er fühle sich nicht mehr wohl an diesem Fest, das er lange sehr geliebt hat. Zudem kenne er einige Schweizer Männer die mit 56 Jahren ihren Job verlieren und keinen neuen mehr finden würden, wegen den Ausländern.
Während dieser ganzen Zeit hörte ich nur zu und stellte Verständnisfragen. Ich wollte mich einfach einmal in seine Schuhe stellen und sehen wie die Welt durch seine Augen aussieht.
Das Fazit für mich war: Seine Welt ist düster. Er fühlt sich stark benachteiligt im Leben und hat das Gefühl, dass er und die seinen zu kurz kommen und nicht sicher sind. Er empfindet die Welt als ungerecht, und sieht sich eingeschränkt in seinen Bräuchen. Er fühlt sich sichtlich unwohl und bedroht.
Das Interessante an dem Gesprächsverlauf war, dass er sich zunehmend entspannte und öffnete. Er erzählte von seinen tiefsten Sorgen und war dankbar, dass ihm jemand wirklich zuhört. Ich habe bewusst darauf verzichtet meine Meinung und Gefühle mit ihm zu teilen, sondern gab ihm den Raum. Am Schluss des Gesprächs ging er überraschend zufrieden und freudig nach Hause. Es gab offensichtlich eine subtile Veränderung in ihm und wie er sich fühlte, auch wenn die Probleme mit den Ausländern deshalb nicht gelöst waren.
Ich kenne diese Veränderung auch aus meinem Beruf und den Coachings mit Führungskräften. Oft ist es für das eigene Erleben wichtiger, dass man wirklich gehört und tief verstanden wird, als darum schnell eine konkrete Lösung zu finden. Es geht darum, dass einem jemand Zeit und Raum gibt seine eigenen Gefühle wahrzunehmen, diese zu äußern und in einer Beziehung zu sein. Dadurch löst sich auf der emotionalen, inneren Ebene oft soviel, dass dann auch im Äußeren rasch konkrete Lösungen gefunden werden können.
In der Politik tun wir jedoch seit Jahrzehnten genau das Gegenteil. Der politische Dialog ist von einem rasanten Schlagabtausch der Argumente geprägt. Jeder versucht sein Gesicht zu wahren, anstatt seine wirkliche Betroffenheit zu äußern. Das hat auch einen guten Grund, denn wenn ich meine Gefühle äußern würde, dann wäre ich verwundbar und das würden die politischen Gegner zweifellos schamlos ausnützen. Wir geben politischen Gegnern keinen Raum und keine Zeit Gefühle wahrzunehmen und in diesen ernst genommen zu werden.
In ganz ausgeprägtem Ausmass geschieht dies mit dem rechten Flügel. Die Linke und Mitte-Parteien versuchen zusammen Koalitionen zu schließen und Kompromisse zu finden. Aber die Rechte wird zunehmend isoliert und gar nicht mehr angehört von den anderen Parteien. Dadurch fühlt sie sich noch weniger akzeptiert, wahrgenommen und gehört. Deshalb wird sie noch lauter und wütender in ihren Anliegen. Eigentlich logisch.
Die Frage ist nun, wie kommen wir als Gesellschaft wieder aus dieser Polarisierung raus? Wie können wir die kollektive Intelligenz aktivieren und den rechten Flügel sinnvoll miteinbinden?
Ich glaube dazu braucht es nun drei Dinge:
- Persönliche Selbstreflektion
- Raum für Gefühle, Anliegen und Bedürfnisse der politischen Gegner
- Gesellschaftliche Visionen
Persönliche Selbstreflexion
Damit ich überhaupt bereit und fähig bin einem politischen Gegner Raum zu geben - braucht es eine Selbstreflexion. Ich muss mir selbst zuerst bewusst werden, welche Gefühle diese andere politische Haltung in mir auslöst. Ich muss bereit sein diese meist unangenehmen Gefühle in mir zuzulassen und zu fühlen. Nur dann kann ich meinem Gegenüber wirklich einen echten Raum geben für seine Sicht. Folgende Fragen können zur Vorbereitung hilfreich sein:
Was lehne ich ab an einer anderen politischen Haltung?
Was für Gefühle löst diese andere Meinung zusätzlich in mir aus?
Was bewundere ich an Menschen mit einer anderen politischen Meinung?
Welche Werte sind mir wichtig in diesem politischen Thema und möchte ich nicht ändern?
Bin ich trotzdem bereit mich für einen begrenzten Zeitraum in die Schuhe des anderen zu stellen? Falls nein, wieso nicht?
Bin ich bereit in dieser Zeit ihm/ihr den Raum zu geben, ohne meine Meinung zu äußern? Falls nein, wieso nicht?
Bin ich bereit die Gefühle meines Gegenübers ernst zu nehmen und anzuerkennen, dass sie für ihn/sie wahr sind?
Ich merke, dass Menschen, die in ihrer eigenen Meinung gestärkt sind und keine Angst haben diese zu verlieren – besser fähig sind, anderen Raum zu geben. Sie können besser zuhören und müssen weniger im Affekt reagieren, weil sie sich durch diesen Prozess nicht bedroht fühlen.
Raum geben
Beim Zuhören ist meine innere Haltung entscheidend. Wenn ich innerlich den anderen Menschen konstant bewerte oder meine Gegenargumente vorbereite, während er spricht – dann merkt der andere das. Es ist nicht wirklich ein Raum da, in welchem man sich verwundbar mit seinen Gefühlen zeigen kann.
Als Raumgeber muss ich eine innere Bereitschaft haben mit Neugier und Offenheit die Welt meines Gegenübers zu erforschen und anzuerkennen. Das heißt nicht, dass ich davon überzeugt bin. Aber ich anerkenne seine individuelle Wahrheit.
Gesellschaftliche Visionen
Echte Visionsprozesse fehlen in der heutigen Politik weitgehend. Wir kümmern uns um die Korrektur von aktuellen Problemen (z.B. Klimakrise, Finanzierung Altersvorsorge, Migration, etc.). Was es jetzt aber bräuchte sind gesellschaftliche Visionen und ein Vorausdenken. Wie wollen wir als Gesellschaft zusammenleben? Wie wollen wir das Leben im Alter gestalten? Wie wollen wir mit künstlicher Intelligenz zusammenleben?
In Visionsprozessen mit Unternehmen erfahre ich immer wieder wie Menschen mit gegensätzlicher Meinung im Tagesgeschäft sich plötzlich vereinen und auf ein gemeinsames, grösseres Ziel ausrichten. - Eine echte Vision öffnet das Herz, begeistert, vereint und wirkt sich wie ein Kompass für das Unternehmen aus. Dadurch gestärkt, können gemeinsam innovative Lösungen gesucht werden. Genau das brauchen wir nun auch in der Politik.
Susanne Baumann ist Spitzenkandidatin der Partei Integrale Politik - IP Zürich in der Schweiz. Geboren 1975 in Basel, studierte sie Wirtschaft und Internationale Beziehungen an der Universität St. Gallen (HSG). Anschliessend arbeitete sie in unterschiedlichen Industrien (Zement, Bank, Hotellerie, Agrikultur, Unternehmensberatung, Yoga) und unterschiedlichen Positionen (Personalmanagement-Strategie Osteuropa, Strategischer Stab des CEO, Strategieberatung, Interims-Management, Unternehmensleitung).
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